Das Buch Barbara Eders trägt den Titel „Das Denken der Maschine“ und der Waschzettel verkündet auf dem Deckel des Buchs: „Die produktiven Vermögen der Maschinerie geraten dabei (im Kapitalismus) ebenso aus dem Blickfeld wie die Versuche, sie sich eigen zu machen: Server, Signalprozessoren und Überseekabel könnten die leer gewordenen Kilometer von Laufburschen und Dienstbot:innen längst zurücklegen – sofern wir sie in Beziehung bringen und Verantwortung für sie übernehmen. Mit derartigen Versuchen haben Lewis Mumford und Gilbert Simondon früh begonnen. Barbara Eder setzt sie fort.“
Während der Klappentext vor dem Zitierten noch davon spricht, dass die „stetig wachsenden Vermögen einer intelligiblen Objektwelt“ vom Zwang zur entfremdeten Arbeit befreien könnten, und sich dabei auf eine „utopische Dimension von Karl Marx’ berühmtem ,Maschinenfragment‘“ beruft, lässt einen das Buch, das mit dem Untertitel „Marx, Mumford, Simondon“ aufwartet, etwas unbefriedigt zurück. Das mag auch an der Erwartungshaltung des Lesers liegen, die durch den Titel geweckt wurde. Unwillkürlich wird an Diskurs und Forschung um artificial intelligence gedacht, aber wenn das Buch aufgeschlagen wird, führt es einen zuerst in den Film „Kimi“ von Soderbergh und dort in die hollywoodgerechte Geschichte um eine Heldin, die als IT-Workerin ihre Aufträge abarbeitet, die ihr fragmentiert und ohne Einsicht in irgendeine Notwendigkeit, ohne Kenntnis von irgendeinem Zweck und Ende, aufgehalst werden. Die IT-Umgebung, in der sie arbeitet, hat schon längst auf sie abgefärbt und sie körperlich wie seelisch angegriffen. Insofern trägt der Film bezeichnenderweise den Namen eines Sprachassistenten, der wohl fiktiv, aber als Alexa oder Siri schon Realität ist.
Die IT-Workerin wird über dies Werkzeug, das massenweise Daten seiner Anwender absaugt und die sie auswerten oder eigentlich nur ordnen muss, Zeugin eines Mords. Nun setzt die übliche filmische Story ein, eine Mischung aus Action und Gesellschaftskritik, Läuterung und Happy End inklusive. Barbara Eder führt uns mit diesem Ausflug in die Popkunst in den Alltag der IT-Worker und ihrer Bullshit-Jobs, aber ebenso in einen Kapitalismus (jenseits von Soderberghs plakativer Kritik, die nur dazu dient, den für den Film üblichen Bösewicht einzuführen), in dem persönliche Daten wie Bewegungsprofile und Aufenthaltsorte, sprachliche und kulinarische Vorlieben, politische oder sexuelle Ausrichtungen zur Ware geworden sind. Datenschutz ist nun ein wichtiges Anliegen in der Gesellschaft geworden, wobei der Umgang der datenverarbeitenden Konzerne mit solchen Daten reglementiert und damit für sie geschützt werden soll, weniger für diejenigen, die ihre Daten nolens volens zugänglich machen.
Jedenfalls wird nach diesem ersten einleitenden Kapitel klar, wohin die Reise mit Barbara Eder geht. Auf sehr assoziative Weise bringt sie uns den Kosmos der IT-Arbeit näher. Das assoziative Element in ihrer Darstellung zeugt von ihrer sprachlichen und literarischen Kompetenz, doch gleichzeitig macht sich eine inhaltliche Beschränkung deutlich. Während sie sich mit ihrer Gesellschafts- und Technologiekritik an Popkultur ebenso wie an holistische Philosophie und Theorie anbindet und so eine Gesamtsicht, einen großtheoretischen Blick auf ihr Sujet anbietet, zieht sie sich dann doch immer wieder auf eine eingeschränkte Betrachtung von Technologie und Maschinerie zurück, die sie mit Bezug auf Karl Marx zu rechtfertigen sucht; so etwa auf Seite 31, wo sie vollkommen zu Recht die fragmentierten Tätigkeitsschnipsel der Bullshitjobs der IT-Fabriken (Homeoffice-Jobs; bevor es diesen Begriff gab, hätte man von fabbrica diffusa oder Prekarisierung oder Scheinselbständigkeit gesprochen) mit tayloristischer kapitalistischer Arbeitsorganisation in Zusammenhang bringt, gleichzeitig aber einem Optimismus frönt, der in der fortschreitenden Entwicklung von Technologie und Maschinerie eine Perspektive sieht, der Arbeit sowohl in ihrer Entfremdung als auch Ausbeutung und beider Eintönigkeit zu entkommen.
Je weiter man in der Lektüre des Texts voranschreitet, desto mehr entfernt sich die Behandlung der Technologie von ihrer Eigenschaft als soziales Verhältnis und nähert sich einem Objektivismus an, der nur noch die Physik und deren unveränderliche Naturgesetze im Auge hat und sich der Annahme hingibt, eine Verschiebung der Machtverhältnisse im Klassengefüge würde hinreichen, um die vorgeblichen Potenziale der herrschenden Technologien zur Freisetzung von Freizeit, also von gesellschaftlichem Reichtum zu aktivieren. Dabei zitiert Eder das „Maschinenfragment“ von Marx, das ja im Grund bloß aus einer Rekonstruktion aus den „Grundrissen“ stammt, von sowjetischen Editoren aus den 1930er Jahren herausgegeben. Im Zuge dieser Argumentation stellt Barbara Eder diverse Argumente und kritische Anmerkungen vor, bezogen sowohl auf ihre Gewährsleute Lewis Mumford, Gilbert Simondon und Alfred Schütz als auch auf solche, die sie als negative Beispiele zitiert, also die, deren Anliegen bloß gesellschaftliche Affirmation ist. Positiv bezieht sie sich auf die Vorstellung eines italienischen, operaistischen und durchaus traditionellen Marxismus, der die Fortschrittsgläubigkeit des 19. Jahrhunderts noch unkritisch und hoffnungsvoll transportiert.
So darf es dann auch nicht wundernehmen, dass mit fortschreitender Lektüre (und mit fortschreitender Argumentation der Autorin) sowohl die Technologie der Software als auch ihre (angebliche?) Aneignung durch die soziale „Bewegung für freie Software“ in den Mittelpunkt rückt, verbunden mit einem Zuwachs an Fachausdrücken, die Hackern, Hackerinnen und Ha(e)ck(s)en wohl geläufig sein mögen, aber nicht unbedingt einem unbedarften Publikum. Allerdings ließe sich das auch für die Referenzen auf Marx und Engels in Anschlag bringen, was ich hier nicht moniert, sondern diese Kompetenz in marxistischer Terminologie und Methodik einfach vorausgesetzt habe.
Was ich in diesem höchst interessanten, wenn auch meines Erachtens etwas verkürzten Diskurs vermisst habe, ist das uneingelöste Versprechen des Titels. Hier denken keine Maschinen. Hier wird über Maschinen nachgedacht. Es wird aber völlig ausgeklammert, dass das „Denken der Maschinen“ heutigentags als ein Vademecum des modernen bürgerlichen Subjekts gepriesen wird, sei dieses Subjekt nun simpler Konsument, der durch die Maschen erinnert (oder befähigt[?]) wird, beispielsweise den Thermostat der Heizung zurückzudrehen oder den Einkaufszettel zu ergänzen, sei dieses Subjekt eine Wissenschaftlerin, die sich darauf verlässt, dass ihre theoretischen Vorgaben den (möglicherweise fachfremden) Algorithmen in ihrem Programm entsprechen und die die Ergebnisse des Rechners (mögen sie nun stimmen oder nicht) einfach ungeprüft übernimmt und damit soziale Kompetenzen (auch die des Irrtums!) an die Maschinerie abtritt.
Das „Denken der Maschinen“ wird also zunächst (positiv?) hingenommen und gleich darauf kritisch reflektiert, in dieser Reflexion jedoch auf eine bloße Nützlichkeit reduziert, die sich anzueignen es gelte, möglicherweise sogar auf einem Schritt über unsere sozialen Verhältnisse hinaus in die Richtung einer kommunistischen Gesellschaft, wie sie Karl Marx vorschwebte. Das „Denken der Maschinen“ kommt in dem Buch Barbara Eders also nicht als Gegenwärtiges vor. Wo unsere bürgerliche Gesellschaft des Modernen Ensembles es sich als Errungenschaft zugutehält, etwa in den doch sehr verstörenden Darstellungen von Tafelbildern oder musikalischen Kompositionen, die Computerprogramme anfertigen, nicht Selbstaufgabe, sondern Intelligenzforschung vorzufinden, dort verschweigt sich unsere Autorin.
Sie verliert auch kein Wort darüber, dass der gesamte Forschungsansatz der so genannten künstlichen Intelligenz (AI) wie der tierischen Intelligenz eine Herabwürdigung menschlicher Intelligenz ist. Das spezifisch Menschliche, nämliche das Gesellschaftliche, das Soziale, das Kommunikative und die damit verbundenen und weiter entwickelbaren Kompetenzen wird dabei negiert. Intelligenz wird auf eine messbare, skalierbare, empirisch erfahrbare und darstellbare Dimension beschränkt, die jedes sozialen oder „artgerechten“ Charakters des Humanen entbehrt und auf naturgesetzliche Konstanten reduziert wird.
Den Fehler von Marx zu wiederholen (wenn es denn einer war und nicht einfach ein vom Operaismus falsch verstandenes Bonmot, das sich allerdings durch sein Denken und vor allem seine Rezeption hindurchzieht), in der Maschinerie eine Befreiung der Leute von den Zumutungen der Arbeit zu sehen und uns heute den Fortschritt durch PC und IT nahezulegen (oder aufzutrotteln), scheint mir ein starkes Stück, wenn es nicht wirklich auch von anderen Seiten her argumentierbar wird. Dem allerdings verweigert sich Eder. Sie sieht zuerst eine technische Entwicklung, die für eine Veränderung der Gesellschaft selbst nutzbar gemacht werden und die sich eine soziale Avantgarde schon jetzt aneignen könnte. Sie stellt sich nicht die Frage, ob nicht erst eine veränderte, umgekehrte, revolutionierte Gesellschaft ihre technischen Hilfsmittel definieren würde und überkommene verwerfen, zu denen möglicherweise dann auch AI und IT zählten.
Dass mit Barbara Eders Ansatz Tür und Tor für maschinelle Intelligenz geöffnet wird, die nicht einmal maschinell, sondern schlicht kapitalistisch, also sozial, also gesellschaftlich pervertiert ist, wie es Marx im Kapitel über den Fetischchararkter der Ware darstellt, entgeht ihr. Offensichtlich spielt das spezifisch „artgerechte“ Menschliche bei ihr keine Rolle mehr. Es steht zu hoffen, dass sich das ändert. Ihre positive Bezugnahme auf die „Freie Software Bewegung“, auf GNU und Ähnliches blendet die kapitalistische Dominanz aus, wo es sich schlicht um Produktionsmittel handelt, und reduziert die Reaktion darauf auf die schlicht standesmäßigen, interessengeleiteten Widersprüche, die möglicherweise sogar erfüllbar in den kapitalistischen Verwertungsprozess integriert werden können. Die Gefahr der sozialen Integration und ungewünscht erzwungenen Einverleibung lauert hinter solchen Herangehensweisen.
Nun mag es sein, dass dies nicht das Thema Barbara Eders ist, dennoch hätte ich mir einen Hinweis in diese Richtung erwartet, gerade weil ihre künstlerische Kompetenz (literarisch [Die Morsezeichen der Zikaden, Drava, 2015], aber auch musikalisch, theoretisch und im hoch entwickelten pop-Kunstbereich) außer Frage steht. Warum lässt also sich – abschließend gesagt – dieses Buch zur Lektüre empfehlen?
Was überzeugt, ist der flottierende Stil der Darstellung. Von einem zum anderen springend – oft in großen. wagemutigen Sprüngen –, wird ein Panoptikum bürgerlicher Gesellschaft und Geselligkeit (und ihrer Diskurse und Schwafeleien) ausgebreitet, nicht unbedingt vollständig; aber Panoptikum bedeutet ja schon optische Täuschung. Das entspricht auch den assoziativen Bildern, mit denen Barbara Eder gleich von Anbeginn ihre Leserinnen und Leser konfrontiert, was sich angenehm vom akademischen Diskurs abhebt, in den sie trotzdem gerne zurückfällt, etwa wenn sie einen riesigen Apparat an ihren Text anhängt (so riesig auch wieder nicht; eher dem state of art entsprechend, wo halt so zitiert wird, was Wissen und Gelehrsamkeit dokumentiert). Bleiben wir also bei dem, das überzeugt: großartige Sprache und Umgang damit; frei assoziierendes Denken, dabei gebunden an die Traditionen von (bürgerlicher? nicht bürgerlicher? kommunistischer?) Kritik; Subjektivität in bester und trauriger (trauernder) Form? Wie auch immer, les- und bedenkbar …