Paulus, 1 Kor 13. 1
Ich habe vor
einiger Zeit in einer Serie über bürgerliche Musik (erschienen in der
Zeitschrift freistil,
siehe auch hier)
die Frage gestellt: „Ist jetzt Hubert von Goisern der Volksrocknroller oder ist
es doch Andreas Gabalier?“ Das war nicht nur auf formale und musikstilistische
Verwechslungsmöglichkeiten innerhalb des so genannten Austropops gemünzt, auch
wenn mir entgegengehalten wurde, dass Hubert (von Goisern) Achleitner doch wohl
nie so reaktionäres Gedankengut wie Gabalier vertrete. Das mag sicher seine
Richtigkeit haben, dennoch meine ich, dass sich auch im Spektrum des
wohlgelittenen politisch Korrekten ein kleines Plätzchen für behagliche
Traditionspflege finden lässt. Erinnert sei an das Lied „Koa Hiatamadl“, das
Hubert von Goisern mit seiner Gruppe Alpinkatzen unbeschadet von
antisexistischen Einsprüchen in die Top Ten der österreichischen Hitparaden
führte. Auch das antiurbane Ressentiment der Gruppe STS mit ihrem Schlager „I
wüll ham nach Fürstenfeld“ fällt in diese Katgeorie.
Dies zur
Einleitung. Als in diesem Jahr die Nachricht erschien, Hubert Achleitner habe
einen Roman geschrieben und veröffentlicht, da dachte ich, ich müsse das Buch
lesen und mein Urteil aus der Artikelserie auf die Probe stellen. Vielleicht
lässt das größere Format tiefer blicken als das kurze Lied. Ich las es also und
will nun dazu ein bisschen aus der Schule plaudern, zunächst einmal, dass es
sich formal wie inhaltlich um Massenware aus der Popkultur handelt (Hubert
Achleitner, flüchtig. Wien, Zsolnay, 2020).
Formal: Der
Roman, also die Darstellung der Entwicklung einer oder mehrerer Hauptpersonen
oder die Darstellung ihrer Erlebnisse und Abenteuer, ist an die Subjektivität
unserer Gesellschaft gebunden. Dargestellt werden also keine
gesellschaftlichen, sondern individuelle Zustände. Zwar wird das eine oder
andere Mal Gesellschaftsbeschreibung in einen Roman eingeflochten, die dann
affirmativ bejahend oder kritisch ablehnend daherkommen mag; ausschlaggebend
ist dabei aber, wie sich der Held und mit ihm Autorin oder Autor zur Gesellschaft
verstehen. Im Vordergrund stehen dabei immer noch die Fährnisse und Bewegungen
der dramatis personae. Und daraus muss man einen Nutzen ziehen, darin eine
Moral erkennen können, auch wenn dieser Aspekt im Unterhaltungsroman (Krimi,
Sience Fiction, History, etc.) manchmal nur nebenbei bedient wird, etwa dass
sich Verbrechen nicht lohnt, dass wir früher schon so waren, wie wir jetzt
sind, und es auch später sein werden, und ähnlicher Binsenweisheiten mehr.
Inhaltlich:
Nachdem Einzelpersonen die Handlungen tragen, darf es nicht verwundern, wenn
sich alles auch nur um sie dreht; um sie und um die, mit denen sie zu tun haben.
Das beginnt spätestens bei Goethe und seinen „Leiden des jungen Werther“ und
ich meine, dass heute die Frage der persönlichen Beziehungen zum Generalthema
der Romanschreiberei geworden ist und dass dies weit über den Liebesroman aus
der Unterhaltungsliteratur hinausgeht. Und wenn ich den Roman der Popkultur
zurechne, dann wegen seiner Scharnierstellung zwischen den E- und U-Aspekten
der Kunst (genaueres hier).
Das bedeutet auch, dass das Happy End nicht unbedingt zwingend erforderlich ist
und dass die Beschreibung der Verwicklungen nicht immer auf Intrigen,
Fallstricke und Missverständnisse sich beschränkt, vielmehr der genauen
Vivisektion der inneren Zustände der in Liebe oder Beziehung Verstrickten
gewidmet ist.
Diesem
Schema bleibt auch Hubert Achleitner treu. Zwei Personen, ein Mann und eine
Frau, treffen einander, gehen eine Liebe und eine Beziehung ein, verlieren
einander auf Grund einer Fehlgeburt, führen dann ein kommunikationslosen Leben
eher neben- als miteinander, aus dem die Frau schließlich ausbricht, indem sie in das
Auto steigt und wegfährt, der Mann hatte vorher schon eine neue Liebe begonnen,
aber Untreue, der sich auch die Frau schuldig gemacht hat – wie das Publikum
aus einem Abschiedsbrief der Frau erfährt, einem Brief an den Mann, den sie
dann doch nicht zurücklässt, sondern zerreißt und wegspült –, war nicht der
Grund, eher der Wunsch, ein neues Leben und zu sich selbst zu finden, was sie
schließlich nach Griechenland führt. Der Schluss des Buchs scheint anzudeuten,
dass die beiden wieder zusammenfinden. Einige Nebenpersonen wie eine
Reisegefährtin der Frau, der Vater des Manns und einige andere treiben auch
durch die Erzählung.
Und rund um
diese doch etwas banale Geschichte geschieht etwas Komisches. Achleitner
verwendet diesen Roman, um seinen Figuren in den Mund zu legen, was er, der
Autor, wohl selbst denkt. Das geht von kleinen Aphorismen bis hin zu langen
Ausschweifungen über Gott und die Welt, und zwar im wahrsten Sinn des Worts.
Eine durchaus christlich religiöse Grundströmung ist in dem Buch wahrnehmbar,
nicht gerade an eine der vielen christlichen Konfessionen gebunden, nicht
gerade österreichisch katholisch, aber auch nicht mit der religiösen
Indifferenz eines Herrn Karl ausgestattet, der ja nur sagt: „Ich glaube an
ein höheres Wesen.“
Ein kleines
Wunder darf auch vorkommen, das einem jungen Mann durch die leibhaftige
Begegnung mit einem schon längst verstorbenen Mönch den Weg in ein griechisches
Kloster weist, richtig mit Geistererscheinung und verschwundenen Reliquien.
Dieses Motiv wird noch einmal aufgenommen, wenn der Vater des Manns aus dem
Seniorenheim durchbrennt, sich mit dem Sohn nach Griechenland aufmacht, um dort
die verschwundene Frau zu suchen, und auf dem Klosterberg Athos sich
niederlässt und das Seniorenheim mit der Mönchsrepublik vertauscht. Ein drittes
Mal gibt es das Wundermotiv, wenn der oben erwähnte Mönch nach der Rettung der
Frau aus einem Schiffbruch (vielleicht sogar fliegend) verschwindet. Aber lest
das selbst. Oder besser nicht.
Den
Verdacht, dass sich in poltical correctness auch Platz für Religion und Wunder
finden, für behagliche Traditionspflege eben, für österreichischen kulturellen
Konservativismus (auch die Salzburger Festspiele dürfen einen kleinen Auftritt
verbuchen, damit Mann und Frau zueinander finden), finde ich bestätigt. Leider
trat bei der Lektüre dann noch ein literarisches Unvermögen des Autors zu Tage,
auch wenn die Lobpreisungen des Klappentexts anderes versprechen.
Es beginnt
mit kleinen stilistischen Ungereimtheiten und einem etwas unsicheren Umgang mit
Sprache und Bildern: „Draußen hatte es minus fünf Grad, und die Schneeflocken
tanzten romantisch vom Himmel.“ Oder dieses: „Aus dem Gurgeln und Plätschern
der Brunnen sprudelte Mozarts Geist und füllte die Welt mit seinen beseelten
Melodien.“ Man fragt sich unwillkürlich, ob der Zsolnay-Verlag kein Lektorat
hat, das den Autor vor solchen Sätzen schützt. Aber in diesen Stil kann man
sich einlesen. Das Blumige verschwindet, weil man es gewöhnt oder weil der
Autor im Zuge der Erzählung sicherer und auch ein wenig humorvoller wird. Dafür
tauchen aber immer wieder Stilbrüche auf, etwa wenn statt „man“ „Frau“
geschrieben, aber diese Schreibung nicht durchgehalten wird, oder wenn Pilze
„gebrockt“ werden, dies aber der einzige Dialektausdruck in der Redeweise der
Frau ist, die sonst immer Hochdeutsch spricht.
Der Ärger
wegen des literarischen, des erzählerischen Unvermögens bleibt also und wird
weiter genährt; dies vor allem durch die Einschübe des Autors, in denen er
seine Weltsicht, seine Einstellungen und Lebenshaltung und seine
Auseinandersetzung mit christlicher Sozialisation durch Gespräche seiner
Figuren wiedergibt. Dabei hört man aber nur Hubert Achleitner reden und nicht
die Handelnden des Romans mit etwaigen Eigentümlichkeiten ihrer Sprache oder Prägungen und es
ist schon egal, ob der Mann, die Frau, die Reisebegleiterin oder andere
Nebenfiguren sprechen. Sie klingen alle gleich.
Das kann so
weit gehen, dass man im Zuge der Lektüre völlig vergisst, dass an einer Stelle
eigentlich ein längerer Monolog des Manns in einem Gespräch gehalten wird. Erst
wenn man die schließenden Anführungszeichen nach zwei Seiten Text bemerkt,
fällt einem wieder ein, dass da eine Gesprächssituation war. Es las sich aber
wie ein philosophischer Mittelschulaufsatz oder die Beschreibung einer Selbstfindung
nach einer gut verlaufenen Therapie.
Es ist auch
egal, wenn absichtsvoll zeithistorische Erläuterungen in den Text einfließen,
die um politisch korrekte Darstellung griechischer Geschichte und
antifaschistischer Auslegung bemüht sind. Es ist klar, dass so ein Herangehen
zu Lasten der Figuren und ihrer verschiedenen persönlichen Eigenschaften gehen
muss. Zu Gunsten der Aussagen, die uns Achleitner vermitteln will, verzichtet
er auf eine genauere Personenregie und psychologisch feinere Führung der
Handelnden.
Ich kenne
Ähnliches von Karl May, vor allem aus den späteren Werken wie „Winnetous Erben“
oder „Friede auf Erden“. Wenn Hubert Achleitner mit diesem Vergleich zufrieden
ist, soll es mir auch recht sein. Zu Gunsten des alten Sachsen muss ich aber
schon sagen, dass er mit seinen Bemühungen, Botschaften des Antiimperialismus,
der Völkerverständigung und des Friedens zu vermitteln, authentischer und
engagierter wirkt als der jüngere Oberösterreicher mit seiner
Auseinandersetzung um Religion. Und er kann auch besser schreiben.